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Neue Ländlichkeit

Am Anfang des Menschseins steht der Garten. Der Garten Eden und nicht etwa das Traumschiff oder der Traumstrand – soweit wir der Bibel trauen dürfen. „Hast du einen Garten und eine Bibliothek, dann hast du alles, was du brauchst.“ wusste schon der berühmte Cicero. Die Hirtenlandschaft Arkadien galt im Hellenismus als Ort des Goldenen Zeitalters, wo die Menschen in idyllischer Natur ohne mühsame Arbeit und gesellschaftlichen Anpassungsdruck lebten. Ideen, die immer wiederaufkamen, z. B: im Gartenreich Dessau-Wörlitz, Fürst Pücklers Muskauer Parklandschaft oder in Beethovens Pastorale.

Land bebauen, der Umgang mit Pflanzen und Tieren, Landschaft gestalten – das gehört zum Inbegriff ganzheitlichen Lebens und Denkens, nicht entfremdeter Arbeit und körperlicher wie geistiger Gesundheit. Manches davon geht auch in einem städtischen Garten. Aber eine ländliche Umgebung ist wesentlich ärmer an technischen Reizen wie Lärm, Licht, Abgase, Gestank und befreit von der Enge der urbanen Mega-WohnArbeitsVergnügungs-Maschine. Ländlichkeit bietet ganz andere Reize wie Stille und Töne, Sonne, Mondlicht, Dunkelheit Gerüche (ja, auch Gestank). Sie schafft ästhetische Eindrücke und Selbsterfahrung in einer kulturell geformten Natur.

Solche auch von mir gern überpointierten Vorzüge des Ländlichen geraten schnell in den Verdacht vor- oder antimoderner Sehnsüchte (nicht weit von gefährlichem Rechtsdenken). Sie werden mit Spießigkeit und geistiger Enge assoziiert. Landleben erscheint intellektuell nicht satisfaktionsfähig.

In der Stadt zu leben, wirkt normal, auf dem Land hat man seinen Lebensmittelpunkt, weil es zu mehr wohl nicht reicht oder eine Macke gepflegt wird. Wenn durchaus nicht wenige Prominente, Leuchtgestalten des Zeitgeistes, ihren kleinen oder großen Landsitze als Rückzugsort angeben, ist das kein Widerspruch. Auch die vielen erfolgreichen Landmagazine lassen sich wohl als Fantasy-Eskapismus einordnen.

Was Landleben versus Stadtleben in großen sozialen, kulturellen, politischen Kontexten, im Blick auf Visionen vom Menschsein und von lebenswerter Gesellschaft bedeutet, das wird wenig diskutiert. Es fehlt an einer intellektuellen (Stadt-)Land-Debatte über das gute Leben. Stichworte: postindustriell, Postwachstum oder sogar postkapitalistisch. Ich fasse dies unter den Begriff der Neuen Ländlichkeit. Dazu möchte ich anstiften.

Intellektuelle Beiträge unterscheiden sich dabei von den üblichen wissenschaftlichen. Der intellektuelle generiert kein neues Wissen, sondern erweitert das Denken durch Beobachtungen, Fragen und Thesen, die sich nicht an die disziplinären Grenzen und methodischen Regeln von Fachwissenschaften halten. Schon gar nicht ordnen sie sich wirtschaftlichen oder politischen Opportunitäten unter. Dabei fließen immer meine eigenen Erfahrungen mit Garten, Tieren und Landleben ein.

In diesem Sinne engagiere ich mich mit Texten, Vorträgen und Diskussionsbeiträgen zum Landleben bzw. zur Neuen Ländlichkeit.

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